Joe Bidens desaströser Auftritt kehrt die Inszenierungslogik amerikanischer Präsidentschaftsdebatten um: Deren eigentlicher Zweck besteht ja darin, durch Performance die Illusion von Kompetenz, Entschlossenheit und Nahbarkeit zu produzieren. Bidens Darbietung dagegen wirft ein Schlaglicht auf die Inszenierung jenseits dieses TV-Abends: auf den aufwändigen Versuch des präsidialen Apparats, Biden in den vergangenen Monaten und Jahren als zwar deutlich alternden, aber zumindest klar denkenden und handlungsfähigen Präsidenten zu präsentieren. Wobei sich bereits seit Anfang 2023 herauskristallisiert hatte, dass die demokratischen Parteifunktionäre große Probleme haben würden, diese Autosuggestion auch auf Bidens mögliche Wählerschaft auszuweiten.
Nun muss man sagen: Einen einzigen Auftritt zum Kristallisationspunkt auszurufen, folgt natürlich der unbarmherzigen wie tumben Logik der amerikanischen Unterhaltungsdemokratie.
Und doch wiederholte sich zwar die jüngere Geschichte am Donnerstag zwar nicht, aber sie reimte sich: Bidens Weigerung, seinen Platz zu räumen und nach einer Amtszeit abzutreten steht nun eindeutig in einer Linie mit der Weigerung Ruth Bader Ginsburg (RBG), während der Obama-Jahre vom Supreme Court zurückzutreten. Andrew Sullivan, von dem der Begriff "Ruth Bader Ginsburg Syndrom" stammt, schrieb dazu Anfang des Jahres (übersetzt):
"RBGs Glaube an ihre eigenen Superkräfte und ihre allzu menschliche Abneigung dagegen, Macht abzugeben, führten zum Ende von Roe - ein schwerer Schlag für ihre langjährige Rechtsprechung. Sie zerstörte viel von dem, was sie erreicht hatte, indem sie sich weigerte, die Bühne rechtzeitig zu verlassen. (...) Joe Biden scheint bereit zu sein, in ihre Fußstapfen zu treten und eine zweite Amtszeit von Trump zu riskieren, anstatt zuzugeben, dass es nach Jahrzehnten im Dienste der Bürgerinnen und Bürger, nach zwei Amtszeiten als Vizepräsident und einer Amtszeit als US-Präsident an der Zeit sein könnte, Platz für jemand anderen zu machen. Kann ihn nicht jemand zur Seite nehmen und ihn bitten, das Richtige zu tun?"
Noch bleibt Zeit etwas dafür, auch wenn die demokratische Führungsriege nicht gerade für besondere Handlungsstärke bekannt ist.
Dieser Beitrag erschien zunächst in meinem Blog. Weitere Beiträge aus den vergangenen Tagen:
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Ein gutes Wochenende - und bis demnächst!
Johannes