Notizen aus der abgelaufenen Woche.
Montag, 23. Oktober 2023: Vernunft
Sahra Wagenknecht will eine Partei der “Vernunft” gründen. Wobei Vernunft bei ihr nicht mit Pragmatismus verwechselt werden sollte; Wagenknecht arbeitet mit einem sehr übersichtlichen Policy-Werkzeugkasten, der letztlich ihre keinen Widerspruch duldenden Überzeugungen widerspiegelt. Überzeugungen, die sich übrigens nicht geändert haben. Im Gegenteil: “Vernunft” fungiert Kampfbegriff, um den staatstragenden Parteien (plus Linke) eine politische Geisterfahrt zu bescheinigen. Das Problem ist dabei nicht, dass eine weitere populistische Partei um Stimmen kämpft (das Wort “Populismus” ist allzu schlecht beleumundet); sondern dass das Bündnis Sahra Wagenknecht auf Gegenpolitik ausgelegt ist, nicht auf politische Gestaltung. Ein Erfolg dürfte die Mehrheitsfindungen in den Parlamenten nicht einfacher machen.
Dienstag, 24. September: Der stinkende Nebel von New Orleans
New Orleans, meine ehemalige Stadt, erlebt den Klimawandel in diesen Monaten mit voller Wucht. Da war das Salzwasserproblem: Wegen der Trockenheit sank der Pegelstand des Mississippi deutlich. Daraufhin drückte Salzwasser aus dem Golf von Mexiko den Fluss hoch. Eigentlich hätte New Orleans ab Mitte Oktober ohne benutzbares Leitungswasser auskommen müssen (Salzwasser zerstört nicht nur die menschlichen Nieren, sondern auch die Armaturen). Glücklicherweise versperrt offenbar ein Unterwasser-Damm dem Meerwasser den Weg nach Norden. Yay!
So richtig zur Ruhe kommt die Stadt jedoch nicht: Zuletzt waren New Orleans und Umgebung von giftigem, stinkenden Smog eingehüllt. Das Problem: Wegen der Trockenheit brennt seit Sommer weiter südlich das Sumpfland (wir kennen die Gegend gut von einigen Wanderungen). Der Rauch der Torf-Feuer enthalten wiederum kleine Partikel, die giftig für die Atemwege sind.
Inzwischen werden die betroffenen Sümpfe bewässert. Was gegen die Ausbreitung hilft, aber das Feuer nicht vollständig stoppt - denn die Brände befinden sich auch im Torf selbst, also unterirdisch.
Der Smog führte am Montag in Kombination mit dem regulären Mississippi-Nebel zu einem Massenunfalls auf der Autobahn I-55. 155 Autos fuhren ineinander, sieben Menschen starben dabei.
Und ich könnte noch nicht einmal sagen, dass ich ob solcher Ereignisse besonders überrascht bin. Die Stadt zieht Tragödie und Chaos an, bis sie irgendwann (leider) im Meer versinken wird.
Mittwoch, 25. Oktober: Guterres
Ich glaube nicht, dass wir weiterkommen, wenn wir jede Form von Kritik an der israelischen Regierung - oder im Falle von Antonio Guterres eine, zugegeben zugespitzte, historische Kontextualisierung - als Unterstützung der Hamas und Relativierung der Terrorangriffe werden. Wahrscheinlich liegt das an der Logik der Zeit nach 9/11, Kontext und Erklärung sei gleichbedeutend mit Verständnis oder sogar Vergebung.
Dabei hat Guterres hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung gar nicht abgesprochen, sondern es sogar betont. Genau wie die Tatsache, dass keine noch so schlechte Situation die Taten der Hamas rechtfertigen kann. Hätte Guterres aber darauf verzichtet, auf die Menschenrechte und das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza hinzuweisen, wäre er seiner Aufgabe als UN-Generalsekretär nicht gerecht geworden.
Donnerstag, 26. Oktober: Naivität
Über diesen Newsletter auf das Nietzsche-Zitat gestoßen:
“Jede Zeit hat ihre eigene göttliche Art von Naivetät, um deren Erfindung sie andre Zeitalter beneiden dürfen.”
Für “meine Zeit” wäre diese beneidenswerte Naivität das teleologische Geschichtsverständnis zwischen 1989 und 2001: Die Entwicklung der Welt als Verwestlichung und politische Fortschrittsgeschichte. Dabei hatte ich als Teenager Mitte der 1990ern angesichts von Bosnien- und Kosovokrieg, aber auch durch die irgendwann einsetzende Erkenntnis über das Ausmaß des Völkermordes in Ruanda, nie wirklich das Gefühl, in einer “guten” oder “harmonischen” Zeit zu leben. Im Jahr 2023 fühlt es sich für mich wie ein Fehler an, sich damals nicht dieser göttlichen Naivität hingegeben zu haben. Es war für mich wahrscheinlich zu (politisch bewussten) Lebzeiten die einzige Gelegenheit, Urlaub von der Geschichte zu machen.
Freitag, 27. Oktober: Wagenknechts Vorbilder in Europa
Nochmal zu Wagenknecht, über die ich heute auch im DLF-Politikpodcast gesprochen habe (ist ja im Hauptstadtstudio mein Them): Mit dieser Form von erfolgversprechender personalisierten Parteigründungen (die es freilich schon mit Schill etc. vorher gab) ist Deutschland im europäischen Vergleich sehr spät dran, aber es gibt eben doch keinen wirklichen Vergleich:
Berlusconi als Prototyp: Ein Superreicher (wie später Stronach und Babiš), der Politik als weiteres Interessengebiet entdeckt und auch als Gebiet, seine eigenen Interessen zu verfolgen.
Beppe Grillo und Movimento 5 Stelle: Ein Unterhaltungskünstler, der seine satirische Politik-Kritik zum Kern seiner späteren politischen Botschaften macht. Gleichzeitig - im Gegensatz zu Wagnenknecht-Projekt - zunächst als digital und basisdemokratisch angelegt.
Emmanuel Macron: Vergleichbar darin, dass seine “Partei” wirklich um ihn und seinen Personenkult herum aufgebaut wurde. Allerdings war er vor seiner Präsidentschaftskampagne bereits Wirtschaftsminister, kam also aus der Regierung.
Pablo Iglesias (Podemos): Der Personenkult um ihn herum entwickelte sich daraus, dass es ihm gelang, die linke spanische Protestbewegung und ihre Positionen zu einen und zu einem politischen Projekt zu machen.
Sebastian Kurz: Kam letztlich aus einer bestehenden Partei, um diese mit der “Liste Kurz” mit einem neuen, personalisierten Markenkern zu versehen.
Am ehesten gibt es noch Parallelen zu Jean-Luc Mélenchon, der ja seinerseits auch die Sozialisten erst torpedierte und dann verließ, um die “wahre” Linke zu vertreten. Auch im Habitus gibt es sicher Gemeinsamkeiten (man kennt und schätzt sich auch). Allerdings hatte Mélenchon in Frankreich immer die nächsten Präsidentschaftswahlen im Blick, insofern war die Personalisierung sehr viel logischer und zielgerichteter als sie in Deutschland sein kann.
Samstag, 28. Oktober: Die Blumen des Weges
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes