#20 Vernunft und Verächtlichkeit
Bündnis Sahra Wagenknecht, digitaler Untergrund, Dürre und Skateboarding
Hallo zu den Notizen aus der vergangenen Woche (auch in “Echtzeit” per RSS abonnierbar). Wie immer folgen meine Einträge dem Prinzip der Serendipität.
Montag, 8. Januar 2024: Vernunft und Verächtlichkeit
Ich habe drüben beim Deutschlandfunk die Gründung des „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ kommentiert (der Beitragstitel ist der Arbeitstitel des Kommentars). Inhaltlich – also „sind die angebotenen Lösungen tragfähig?“ – lässt sich nicht so wahnsinnig viel sagen, weil das Ganze insgesamt doch sehr vage gehalten ist. Was mir aber aufstößt, ist die demagogisch unterkellerte Rhetorik. Zitat aus dem Kommentar:
„Allerdings lässt sich eine Gemeinsamkeit [mit der AfD] nicht leugnen: Eine ätzende, teils verächtlichmachende Kritik an den etablierten Parteien, speziell der Ampel-Koalition.
So zeugt es von einer gewissen Doppelzüngigkeit, dass Wagenknecht einerseits die Spaltung der Gesellschaft beklagt. Um auf der anderen Seite der Hauptstadtpolitik pauschal Unfähigkeit, Arroganz, Ideologisierung und Desinteresse an der Bevölkerung zu unterstellen.“
Dienstag, 9. Januar: Digitaler Untergrund
Ich habe hier vor längerer Zeit über digitale Gärten geschrieben – also die Art und Weise im Internet ohne Strukturen wie „Beiträge“ oder Konzepte wie „Chronologie“ zu publizieren. De facto Wissensgraphen oder Sammelseiten.
So etwas ist natürlich ganz weit weg vom kommerziellen Social Media, eher ein Teil des digitalen Untergrund. Womit wir beim Thema wären: Jemand hat sich die Mühe gemacht, diesen digitalen Untergrund digital zu kartographieren (Link via Samuel Arbesman). Das Konzept des digitalen Gartens ist auch dabei, aber auch Konzepte und Projekte wie handgemachte Apps, Ordner-Lyrik, das Textlog-Netzwerk special.fish, Technologien wie dass dezentrale Netzwerk Futura Tropica oder Programmier-Philosophien wie Agentic Computing (Software nach dem Hundertwasser-Design).
Im Zeitalter des degenerierenden WWW und der formatierten Sozialmedien fühlt es sich sehr erfrischend an, in diese Welt einzutauchen.
Mittwoch, 10. Januar: Kein Geheimnis
Wer die Alternative für Deutschland wählt, weiß, was wir erwarten können.
Donnerstag, 11. Januar: Gaza-Krieg
Der Gaza-Krieg hätte längst beendet werden müssen, spätestens zum Jahreswechsel. Und je länger Israel seine Bombardements auf teilweise zivile Ziele fortsetzt, desto unglaubwürdiger wird die Aussage der Netanjahu-Regierung, es gehe nur um das Ausschalten der Hamas. Denn auch aus dem eigenen Kabinett wird ganz konkret nach ethnischen Säuberungen gerufen. So sagte der rechtsradikale Finanzminister Bezalel Smotrich Anfang Januar im Armeeradio:
„Was im Gazastreifen getan werden muss, ist die Auswanderung zu fördern. Wenn es 100.000 oder 200.000 Araber im Gazastreifen gibt und nicht 2 Millionen Araber, wird die gesamte Diskussion am Tag danach völlig anders sein.“
Das wird – hoffentlich – nicht Realität, aber es ist auch so völlig unklar, wer Gaza künftig politisch führen soll. Und es ist nicht weit hergeholt, Netanjahu innenpolitische Motive zu unterstellen, wenn es um eine Ausweitung des Krieges in Richtung der Hisbollah, also des Libanons, geht. Das wäre eine Katastrophe, noch folgenreicher als die jetzige.
Netanjahu muss weg. Schnellstmöglich.
Freitag, 12. Januar: Klimaveränderung und der Ursprung des Skateboardings
Warum entwickelte sich im Kalifornien der 1970er Jahre die Skatekultur, wie wir sie heute kennen?
1. Die Surfkultur, die als Vorbild diente
2. Polyurethane, also bestimmte Kunststoffe, die damals erstmals für die Rollen eingesetzt wurden und damit schnellere Bewegungen erlaubten.
Und, wie ich heute durch eine Studie gelernt habe, die hier zusammengefasst wird:
3. Eine Dürrewelle in Südkalifornien. Die führte nämlich dazu, dass zeitweise ein Füllverbot für Swimmingpools erlassen wurde. Woraufhin Skater das Poolriding erfanden und die leeren Schwimmbecken als das nutzten, was wir heute unter Skaterampen verstehen. Die geschwungene Nierenform, die damals modern war, begünstigte das Ganze sicher, wie man in obigem Video über die Z-Boys sieht.
Der verantwortliche Studien-Autor, Cambridge-Geograph Ulf Büntgen, zieht folgendes Fazit:
„Wenn man genauer hinsieht, bestätigt es unsere Annahme, dass Klima- und Umweltfaktoren die Gesellschaft tiefgreifend beeinflussen. Diese Entwicklungen sind nicht zufällig – im Fall des Skateboardings mussten alle einzelnen Faktoren zur gleichen Zeit am gleichen Ort existieren. Es hätte nicht zehn Jahre früher, zehn Jahre später oder einige hundert Meilen entfernt geschehen können.“
(via)
Samstag, 13. Januar: Bauern und Boden
Unter diesem Video der Linken findet sich ein interessanter Kommentar eines Biolandwirts südlich von Hamburg, der mir a) authentisch und b) für die Erfassung der Komplexität des Themas „landwirtschaftliches Einkommen“ relevant erscheint.
„WIDERSPRECHEN muss ich (…) dem Mainstream meiner Berufskollegen, dass die Betriebsgröße heute der wesentlich entscheidende Erfolgsfaktor sei. Das stimmt nur bedingt. Ich sehe und erlebe vielmehr, dass diejenigen Betriebe vorpreschen und glänzen („Vorzeigebetrieb“) und dann in Folgeschritten groß werden, die sechs- bis siebenstellige Nebeneinkünfte aus der Vermarktung von Bauland (kann den ursprünglichen Bodenwert per Federstrich bis zu verhundertfachen), aus der Verpachtung von Windstandorten (ca.50.000 bis 100.000 Euro pro Standort jährlich) oder neuerdings aus der Verpachtung von Acker für Photovoltaik (ca.4000-5000 Euro pro ha jährlich) generieren. Diese Gelder steuerbegünstigt in Landwirtschaft re-investierbar. (gerne mal in Relation setzen, mit übrigen derzeit kursierenden Zahlen. Wie z.B. Betriebsgewinnen nach 365 tagen Arbeit mehrerer(!) Familienarbeitskräfte. Oder der dagegen zugegeben lächerlich anmutenden Dieselrückvergütung…)
Ob man mit derlei „Nebeneinnahmequellen“ ausgestattet wird, hängt wohlgemerkt wenig mit Unternehmertum zusammen, sondern vielmehr damit, ob man Fläche sein Eigentum nennt und ob einem das planungsrechtliche Glücksrad hold ist. Von Kungelei in diesem Bereich und ob uns DAS ggf als „erarbeitet“ gölte, reden wir mal nicht… Abgesehen von einer sehr kleinen Zahl an Nischenbesetzern und „Kämpfern“ (wie ich mit meiner Bio-Weide-Mutterkuh-Milch), entscheidet also signifikant der Zufall, wer im harten Wettbewerb (um Pachtflächen, um Mitarbeiter, um das Verkraften von Durststrecken etc) bestehen bleibt und wer nicht.“
Sonntag, 14. Januar: Der Präsident
Am Montag beginnen in den USA die Vorwahlen.
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes