#21 Die Demokratie, die wir meinen
Lehren aus Ungarn, Solarfeld-Träume und Klimaszenarien, Benzion Netanjahu
Hallo zu den Notizen aus der vergangenen Woche (auch in “Echtzeit” per RSS abonnierbar). Fragt mich bitte nicht, ob die wöchentliche Erscheinungsweise jetzt etwas Regelmäßiges ist oder nur Resultat meiner persönlichen Januar-Motivation.
Montag, 15. Januar 2024: Die Demokratie, die wir meinen
Ich muss gegenwärtig häufiger an Michael Ignatieffs Lehren aus seiner Zeit in in Orbans Ungarn denken. Eine davon besteht in dieser wichtigen Unterscheidung: Wer in einer Demokratie gelebt hat, wird die Demokratie im Sinne der regelmäßigen Durchführung freier Wahlen in der Regel glühend unterstützen. Weit weniger glühend dagegen ist die Unterstützung freier, also unabhängiger Institutionen, unabhängiger Gerichte, unabhängiger Medien. Das zu unterscheiden erscheint mir essentiell für die Analyse von autoritären Gefahren und Verlockungen.
Dienstag, 16. Januar: Schatten über dem Solarfeld
Es klang immer so einfach: Lass uns die Sahara voll mit Photovoltaik packen, den gewonnenen Strom exportieren und schon ist das CO2-Problem in der Energieerzeugung für einen relevanten Teil der Menschheit gelöst.
Nicht ganz, wie ein internationales Forscherduo nun modelliert hat: Denn wenn ein Solarfeld groß genug ist, kann es das Wetter weltweit beeinflussen. Der Grund: Die Solarpanelen würden weit mehr Hitze absorbieren, als es der Wüstensand tut. Millionen von Solarplatten würden ihrerseits zum Wärmefaktor, der wiederum die Niederschlagsmuster verändert.
Konkret: Ein Solarfeld, das 20 Prozent der Sahara umfassen würde, würde Niederschläge von den Tropen in die Wüste selbst umleiten, die daraufhin ergrünen würde. Bislang sonnenreiche Gebiete wie der Nahen Osten, Südeuropa, Indien, Ostchina, Australien und der Südwesten der USA würden wolkenreicher und weniger Solarenergie produzieren können. Im Gegensatz dazu könnten Regionen wie Zentral- und Südamerika, die Karibik, der zentrale und östliche Teil der USA, Skandinavien und Südafrika von einer erhöhten Solarproduktion profitieren. Andere Veränderungen würden sich ergeben, wenn die Solarfelder in Australien stehen würden. Undsoweiter.
Das hieße im Zweifelsfall: Die Welt müsste sich darüber abstimmen, wo man XXL-Solarkraftwerke baut. Schwierig.
Natürlich sind solche Mega-Projekte noch ganz Zukunftsmusik, sofern sie überhaupt realisierbar sind. Aber in der Summe könnten einige Gegenden eine Menge gespeicherter Solarplatten-Wärme emittieren. Irrelevant ist die Modellierung also nicht.
(via, Bild via KI-Bildgenerator)
Mittwoch, 17. Januar: Namen dieser Welt
1472 bog eine portugiesische Schiffsflotte in die Flussmündung des westafrikanischen Flusses Wouri ein. Weil es dort Garnelen gab, nannte man den Fluss „Rio dos Camarões“ (Fluss der Garnelen). Die deutschen Kolonisatoren machten aus diesem Gebiet später „Kamerun“.
Rio de Janeiro ist der Januar-Fluss, weil er am Neujahrstag entdeckt wurde. Allerdings handelte es sich, anders als die Europäer vermuteten, nicht um einen Fluss, sondern um eine Meeresbucht.
Kuba würde heute Juana heißen, hätte sich Kolumbus durchgesetzt (und nicht die indigene Taino-Bevölkerung, die damit einen „großen Ort“ bezeichnete).
Sierra Lyoa bedeutet im Portugiesischen „Berglöwe“. Es ist unklar, ob die Portugiesen dem heutigen Sierra Leone seinen Namen gaben, weil seine Bergkette einem kauernden Löwen gleicht (heute als Löwengebirge bekannt). Oder weil, wie andere sagen, sich der Donner über den Bergen wie das Brüllen eines Löwen anhörte.
Australien wurde aus dem Begriff „terra australis“ abgeleitet, das „südliches Land“. Bereits in der Antike wurde der südlich vermutete, aber noch nicht entdeckte Kontinent „terra australis incognita“ genannt.
Die Sprachen Südostasiens bezeichnen Europäer als Farang, Feringgi oder auch Barang. Abgleitet ist das das aus der arabischen Bezeichnung „Faranj“ (Franken).
(Quellen: Wolfgang Behringer: Der große Aufbruch, Globalgeschichte der frühen Neuzeit; diverse ChatGPT-Anfragen, Googelei).
Foto des Wouri-Flusses: Mark via Flickr, CC BY-NC-ND 2.0 DEED
Donnerstag, 18. Januar: Keine Sternstunde
Vielleicht waren meine Erwartungen an die heutige Aktuelle Stunde zur „wehrhaften Demokratie“ zu hoch. Hoch in dem Sinne, dass ich eine Innenministerin erwartet hätte, die etwas zu sagen hat und nicht abgelenkt erscheint, die ihre Rede nicht Wort für Wort abliest, sondern eine Form von Vortrag entwickelt, vielleicht sogar einen ohne Versprecher wie „Herr Tschupalla“ oder „Abstimmung“ statt „Abstammung“. Eine Familienministerin, die nicht weiterhin zielsicher jede Rede im norddeutschen Tiefland der Rhetorikverweigerung versenkt. Eine Unionsfraktion, die eine Situationsbeschreibung liefert, die über die banale Gleichung „schlechte Ampel-Politik = erstarkende AfD“ hinausgeht. Irgendjemanden, der oder die in einer solchen Debatte einmal rhetorisch über sich hinauswächst.
Die AfD dagegen blieb im Rahmen des Erwarteten: Nämlich, nichts außer der bekannten Trump-Taktik (niemals entschuldigen, immer zur demagogischen Gegenbezichtigung übergehen) aufzubieten.
Freitag, 19. Januar: Der Vater
David Remnick hat in sein Kaleidoskop über die aktuelle Situation in Israel eine Figur eingearbeitet, die nicht mehr lebt, aber dessen Haltung doch präsent erscheint: Benjamin Netanjahus Vater Benzion, ein Historiker mit dem Fachgebiet spanische Inquisition, der einst als Assistent von Zeev Jabotinsky arbeitete. Jabotinsky gilt als Vater des revisionistischen Zionismus, aus wiederum Israels politische Rechte hervorging.
Der alte Netanjahu verfolgte einen territorialen Maximalismus, der letztlich keine Kompromiss zuließ. „Das Ende ist ein arabischer Staat im Lande Israels“, lautete einer seiner (Glaubens)Sätze. Der Sohn folgte ihm in dieser Haltung, konnte den Alten aber politisch nie zufriedenstellen. Sein Sohn wäre ein guter Außenminister, sagte Benzion einmal, als sein Sohn bereits Ministerpräsident war.
Man soll vorsichtig mit dem Psychologisieren sein, und doch fühle ich mich an den Gedanken erinnert, den Kafka in verschiedensten Formen zu Papier gebracht hat: Söhne werden selbst der Vater, oder sie bleiben für immer Sohn.
Samstag, 20. Januar: Weizenfeld
Agnes Denes‘ „Wheatfield – a confrontation“ (1982) machen aus heutiger Perspektive mehrere Gründe bemerkenswert: Da ist nicht nur die Idee, in Sichtweite des World Trade Center ein Weizenfeld anzusäen. Sondern auch die Tatsache, dass dieses Weizenfeld auf einer ehemaligen Müllkippe stand. Vor allem aber erscheint es mir aus heutiger Sicht absurd, dass es damals noch unbebautes Gelände in Lower Manhattan gab.
(Teil der neuen Dauerausstellung „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft Sammlung der Nationalgalerie 1945 – 2000“ in der Neuen Nationalgalerie Berlin)
Sonntag, 21. Januar: Cillian Murphy's Limited Edition
Ich habe es ja bekanntlich nicht so mit Namen. Oder kulturellen Zusammenhängen. So war ich vor einigen Wochen verwundert: Plötzlich wurde mir nämlich klar, dass Cillian Murphy nicht nur DJ bei BBC Radio 6 ist (wo mir seine Sendungen gut bekannt sind). Sondern auch der Schauspieler aus Oppenheimer. Wer Murphy nicht als DJ kennt, dem seien seine Mixtapes ans Herz gelegt. Hier unten eingebettet oder direkt bei der BBC.
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes