Hallo zu meinen Notizen aus den vergangenen Tagen!
Montag, 5. Februar 2024: “Posting Disease”
„Never Post“ ist ein neuer U.S.-Podcast über Internetkultur. [An dieser Stelle mein bekanntes Lamento einsetzen, dass wir keine seriöse Berichterstattung über Internet-Kultur in Deutschland haben]
In der ersten Folge fühle ich mich gleich abgeholt, denn es geht unter anderem über die „Posting Disease“. Der Zustand, wenn man so viel auf Social Media unterwegs war, dass man seinen Alltag nur noch darauf abcheckt, ob der Content der gegenwärtigen Situation für ein Posting geeignet wären.
Vor etwas mehr als zehn Jahren, meinen schlimmsten Twitter-Zeiten, war genau das mein Blick auf die Welt: Hey, etwas Tolles gelesen – twittern. Hey, etwas im Alltag erlebt – twittern. Hey, einen Snark auf die Weltlage im Kopf – twittern.
Es hat tatsächlich etwas gedauert, davon wegzukommen. Und es hat noch etwas länger gedauert, zu begreifen, dass es egal ist, und dass niemand auf meine Gedanken oder mein Foto gewartet hat – und dass es in Ordnung ist, wenn dieser Moment, dieser Geistesblitz nicht da draußen in der Welt existiert, sondern nur in mir drin. Weshalb es auch keine Niederlage ist, wenn es hier auf diesem Newsletter irgendwann mal wieder etwas ruhiger wird.
Dienstag, 6. Februar: Nach Indien
Chinas Wirtschaft schwächelt und westliche Investoren setzen Segel für ein neues Land: Indien. Das berichtet Bloomberg und vermeldet, dass Goldman Sachs, Morgan Stanley oder Hedgefonds wie Marshall Wace intern die Dekade der großen Indien-Investments ausgerufen haben.
Ich habe aus der Ferne nicht den Eindruck, dass sich an den üblichen Faktoren Bürokratie, Korruption, komplexes Bevorzugungssystem etwas geändert hätte. Und als ich das letzte Mal nachgeguckt habe, war die Modi-Regierung auf dem Weg, Indien deutlich theokratische Züge zu geben.
Aber vielleicht muss das Land sich im Jahr 2024 gar nicht modernisieren, wenn die großen US-Financiers aus Sorge vor dem amerikanischen Konflikt mit China einfach nur die nächste große Erzählung suchen, der sie nachlaufen können.
Mittwoch, 7. Februar: Puerto Escondido
2017 war Puerto Escondido an der mexikanischen Pazifikküste ein Ort, der zwar schon vom Tourismus geprägt, aber nicht überlaufen war. Was auch daran lag, dass es von der Hauptstadt des Bundestags Oaxaca mit dem Bus sechs Stunden dauerte, dorthin zu kommen. Schon damals wunderten wir uns, wie lange diese relative Idylle in Zeiten des Overtourism noch anhalten würde.
Nicht lange, heißt es in diesem Radiobeitrag: Eine Verdreifachung der Touristenzahlen auf 800.000 Menschen pro Jahr, und das bei einer Stadt mit 30.000 Einwohnern. Damit gehen die bekannten Probleme einher, zum Beispiel eine überforderte Abwasser- und Müllentsorgung. Das heißt aus meiner Erfahrung: Abwasser ins Meer, Müllkippen irgendwo dort, wo man sie nicht sofort sieht. Auf Google finden sich auch Berichte über die ersten abgelegenen Luxus-Ressorts, die eröffnet haben. Die Tulum-isierung ist also in vollem Gange.
Die Ironie an der Angelegenheit ist, dass offenbar Corona ein Auslöser war: Damals hatte Mexiko – im Vergleich zu den meisten anderen Ländern – keine größeren Einreisebeschränkungen. Und die Menschen kamen, aus aller Welt.
Die Entwicklung scheint nur schwer aufzuhalten, aber sie wird sogar noch verstärkt: Man lässt den örtlichen Flughafen ausbauen, künftig rechnet man mit bis zu zwei Millionen Passagieren jährlich. Und zwischen Oaxaca und Puerto Escondido eröffnet die Regierung in diesem Monat eine Autobahn. Dann dauert es mit dem Auto nur noch zweieinhalb Stunden, den “verborgenen Hafen” zu erreichen.
Donnerstag, 8. Februar
Nichts.
Freitag, 9. Februar: Internet-Blockade in Pakistan
Pakistans Regierung hat am gestrigen Wahltag Internet und Mobilfunk abgeschaltet. Aus dem gestrigen Sendungsgespräch der BBC mit der Südasien-Korrespondentin Samira Hussain, die vor Ort ist.
Frage: „Niemand dachte, dass es super problemlos laufen würde, aber was ist deine Einschätzung?“
Hussain: „Diese Internet-Blockade [am Wahltag] gab es noch nie. In früheren Wahlen gab es Gegenden, in denen das Internet verlangsamt oder teilweise abgeschaltet wurde, aber diese Komplettsperrung gab es noch nie. Und sie passiert, obwohl die Interimsregierung versprochen hatte, das Internet und den Mobilfunk nicht zu blockieren. Aber sie haben es getan und Sicherheitsgründe angegeben – es gab gestern zwei Bombenanschläge in der Provinz Balutschistan, bei denen mehr als zwei Dutzend Menschen getötet wurden, es gab heute am Wahltag einige kleinere Vorfälle, aber es war unterm Strich sehr friedfertig, deshalb sind so viele Menschen ziemlich empört. Das verhindert es, Informationen an Wähler zu geben und politische Parteien können ihre Anhänger nicht mobilisieren. Das sorgt für sehr viel Frust.“
Interessant ist auch, wie das Gespräch weitergeht…
Frage: „Das könnte wahrscheinlich die Wahlbeteiligung beeinflussen. Aber man muss auch sagen: Niemand erwartet, dass der Wahlausgang besonders spannend wird. Die meisten rechnen damit, dass der frühere Premier Nawaz Sharif erneut ins Amt kommt.“
Hussain: „Die Wahlgesetze in diesem Land verbieten es mir, darauf einzugehen. Was ich sagen kann ist, dass er definitiv einer der Kandidaten bei diesen Wahlen ist.“
Ich habe beim Zuhören gestutzt und diesen „Code of Conduct“ der Wahlkommission gefunden. Dort heißt es:
„Behauptungen und Aussagen, die die nationale Einheit gefährden oder eine Rechts- und Ordnungslage während des Wahlkampfs und am Wahltag herbeiführen könnten, sollen in den gedruckten und elektronischen Medien sowie von jeglichen Medienschaffenden, Zeitungen und Sendern, die offizielle Konten in den digitalen Medien betreiben, und anderen Social-Media-Influencern strikt vermieden werden.“
Der Gummitatbestand „Die nationale Einheit gefährden“ war nur einer der vielen Versuche, Journalismus im pakistanischen Wahlkampf unmöglich zu machen. So wurden Journalisten angewiesen, die Partei des Ex-Premiers Imran Khan (übrigens ebenfalls ein Medienfeind) mehr oder weniger zu ignorieren.
Und nachdem der Oberste Gerichtshof Anfang Januar Nawaz Sharif zur Wahl zugelassen hatte (nachdem er zuvor lebenslang dafür gesperrt war), zitierten die Behörden 74 Journalisten und YouTuber zu Anhörungen, weil diese das Urteil offenbar kritisiert hatten.
Zitat aus einem Artikel zur Medienfreiheit insgesamt:
„Enttäuscht von den traditionellen Medien, deren Eigentümer entweder staatlichen Interessen verpflichtet bleiben oder nicht in der Lage sind, ihre redaktionelle Unabhängigkeit zu verteidigen, wenden sich die Menschen in Pakistan oft dem Internet zu, um alternative Nachrichtenquellen und Informationen zu finden. Hier verschlimmert sich die Situation.
Allein im Januar haben die Behörden laut dem globalen Internetüberwachungsdienst Netblocks zweimal die landesweiten Internetdienste unterbrochen. Die Störungen scheinen Drosselungen zu beinhalten – die Begrenzung der Internetbandbreite, um das Browsen und Streaming zu verlangsamen – und den Zugang zu großen sozialen Netzwerken zu blockieren, zusätzlich zu separaten Vorwürfen, dass spezifische Websites gesperrt wurden.
In allen Fällen deuteten Nachrichtenberichte darauf hin, dass das Ziel möglicherweise die Online-Spendenaktionen und virtuellen politischen Aktivitäten der [oppositionellen Partei von Imran Khan] PTI gewesen sein könnte.“
Diese Zensurmaßnahmen zugunsten der Regierungspartei waren aber offenbar erfolglos. Stand Samstag hat die Partei von Imran Khan die meisten Sitze bei dieser Wahl geholt.
Samstag, 10. Februar: Dormant NATO
Ein Konzept, das bereits seit längerem kursiert, inzwischen starkes Interesse hervorruft und im Zuge der Münchner Sicherheitskonferenz wahrscheinlich noch prominenter wird: Dormant NATO, die eingefrorene (wörtlich: schlafende) NATO. Ein Konzept des America-First-Historikers Sumantra Maitra, das die Blaupause für das Verhältnis einer möglichen Trump-Regierung zur NATO sein könnte.
In diesem Konzept ziehen sich die USA nicht völlig aus Europa zurück. Sondern:
Die USA behalten den nuklearen Schutzschirm über Europa bei, indem sie Luftwaffenstützpunkte in Deutschland, England und der Türkei unterhalten.
Die Präsenz der US-Marine in den europäischen Meeren schützt den Seehandel vor möglichen Bedrohungen.
Der Vorschlag befürwortet ein ruhendes NATO-Bündnis, das weitere NATO-Erweiterungen stoppt und nur in Krisenzeiten aktiviert wird.
Maitra fordert die Entschlackung und Reform der NATO-Bürokratie, die als aufgebläht und oft im Widerspruch zu konservativen Werten und amerikanischen Interessen steht.
Die Sicherheitslast wird allmählich auf Europa verlagert, mit einem festen Zeitplan für die europäische Kontrolle über Panzer, Logistik, Artillerie, Geheimdienste und Infanterie, während die USA als Reservekraft bleiben.
Es ist aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die Begründung, die die „America First“-Schule deutlich macht: Die Europäische Union wird als geopolitischer und wirtschaftlicher Rivale gesehen, den es zu schwächen gilt, die Ost-Erweiterung der NATO hat den Nationalismus inklusive den in den USA zerstört (schlecht, aus Sicht der Trump’schen Reaktion) und die USA müssen sich auf die (militärische) Rivalität mit China konzentrieren.
Das alles ist dermaßen ahistorisch und banal – keine Lehren aus dem zweiten Weltkrieg, keine Idee, warum Multilateralismus hilfreich sein könnte, keine Vorstellung von Diplomatie jenseits eines Nullsummenspiels. Eben genau dieser Thinktank-Quark, der in republikanischen Kreisen seit sieben, acht Jahren produziert wird, um irgendwie von den Protagonisten des Trumpismus wahrgenommen zu werden oder den Trump’schen Ideen Legitimation zu verleihen.
Das ist alles ziemlich bitter, ändert aber nichts daran, dass sich Europa auf die Verwirklichung solcher Ideen einstellen muss, sollte Trump wieder gewählt werden.
Sonntag, 11. Februar: We Make Hits
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes