Hallo zum Digest meiner Blogeinträge aus der zu Ende gehenden Woche.
Montag, 12. Februar 2024: Durch unsere Augen
„Die Apple Vision Pro möchte unsere neuen Augen sein. Aber warum sind wir so scharf darauf, unsere echten Augen zu ersetzen? Was fehlt uns an ihnen so sehr? Oder was fehlt in der physischen Welt, die unsere Augen wahrnehmen, so sehr, dass sie durch die digitale „augmentiert“ werden muss? Gibt es hier eine positive Vision des menschlichen Gedeihens?
Die Kultur der digitalen Geräte ist ein Experiment kolossalen Ausmaßes, dessen Ergebnisse wir in Form von Börsengängen, vierteljährlichen Wachstumsraten, Engagement-Metriken und täglich aktiven Nutzern zu messen versucht haben, nicht aber in Form von menschlichem Gedeihen. Aber genau hier entstehen die wahren Kosten.“
John Fechtel: In Your Face (The New Atlantis)
Dienstag, 13. Februar: Jon Stewart
Jon Stewart ist zurück bei der Daily Show und thematisiert in seiner ersten Sendung Alter und geistigen Zustand der beiden US-Präsidentschaftskandidaten. Und geht dabei auch auf die zu ewartende Kritik ein, mit der Thematisierung von Bidens Alter Donald Trump zu verharmlosen. Seine Erwiderung:
„The stakes of this election don’t make Donald Trump’s opponent less subject to scrutiny. It actually makes him more subject to scrutiny.“
Widerspruch kommt dabei aus dem demokratischen Lager, unter anderen von Rusty Foster („Today in Tabs“). Was soll das bringen, fragt er, jeder kenne die Kandidaten und wisse bereits, wie er/sie wählen würde.
Foster zitiert interessanterweise die Washington-Post-Autorin Lili Loofbourow und sieht darin ein Kernproblem der „Methode Stewart“:
„Der wichtigste Punkt des gut besuchten „March to Restore Sanity“ [im Jahr 2010] war, wie effektiv Stewart eine Gemeinschaft von Skeptikern aufgebaut hatte, die glaubten, über jener demütigenden Homogenität zu stehen, die die Mitgliedschaft in einer politischen Gruppe (jeder politischen Gruppe) mit sich bringt.
Einige Gruppenidentitäten sind akzeptabel. „Daily Show-Fans“ zum Beispiel waren cool. Die Demokraten nicht. Die Show bot einen Ausweg aus der demoralisierenden Falle der Wählerzugehörigkeit. Stewart hat viele Löcher in gut gepflegte Mediennarrative gerissen und viele Politiker zur Rede gestellt. Aber er riet seinen Zuhörern auch davon ab, ihre individuellen Perspektiven dem undifferenzierten Rammbock unterzuordnen, zu dem jede kollektive Anstrengung, Veränderungen herbeizuführen, irgendwann wird.“
Mein tl;dr: Stewart politisiert Menschen in Richtung einer Individualisierung, die konkrete politische Veränderung unmöglich macht, weil sie sich nicht mit einer Sache gemein machen möchte.
Ich würde das „kritisches Bewusstsein“ nennen. Und es sagt viel über das intellektuelle Klima in den USA (und vielleicht unsere westlichen Demokratien generell?) aus, wenn sein Argument für intellektuelle Ehrlichkeit und gegen Reflexe, die politischer Stammeszugehörigkeit geschuldet sind, derart umstritten ist.
Mittwoch, 14. Februar: Politischer Aschermittwoch
Mit dem politischen Aschermittwoch ist es wie mit Regenschauern im April oder Party-Urlaubsmeuten auf Mallorca: Man kann ihn als unzeitgemäß und nervig bezeichnen, das ändert aber nichts an seiner Existenz.
Was allerdings dieses Jahr – wie übrigens schon beim Veitshöcheimer Fasching – auffällt: Wenn die politische Alltagsrhetorik bereits so übersteigert ist, dass die scharfen Verbalattacken der Aschermittwochsreden nur noch wie eine logische Fortsetzung wirken, nicht wie eine volkstümliche Ausnahme, dann verliert das Ganze an Geschmack beziehungsweise schmeckt ziemlich bitter.
Donnerstag, 15. Februar: Klimatrauer
Ich schreibe hier immer mal wieder über unsere Gefühlswelt im Anthropozän, unseren spirituellen Umgang mit der Klimakrise. In diesem Zusammenhang bin ich via Marie Snyder auf ein interessantes Paper zu „Ecological sorrow„, also „ökologischen Kummer“ gestoßen. Dabei geht es sowohl um die Trauer, die der Klimawandel und seine Folgen für Mehsch, Tier und Umwelt auslöst, als auch um das Gefühl des Verlusts, das wir beim Blick auf Gegenwart und Zukunft empfinden können.
Eine Montage aus Zitaten macht klar, um was es geht (übersetzt):
„Diejenigen, die besonders enge emotionale Bindungen zur nicht-menschlichen Umwelt haben, haben schon lange ökologische Trauer beobachtet, lange bevor es spezielle Namen für diese Gefühle gab. (…)
Inzwischen gibt es Rahmenkonzepte, die sich auf ein breiteres Spektrum möglicher Verluste und Trauer konzentrieren, und bezeichnenderweise werden diese heutzutage oft als „Nicht-Todes-Verluste und -Trauer“ bezeichnet. Als Ganzes handelt es sich bei diesem Forschungsfeld grundsätzlich um die Vielfalt von Traurigkeit und Verlust, die als elementarer Bestandteil der menschlichen Existenz in einer sterblichen Welt betrachtet wird.
(…) Im Allgemeinen ist dies mit einem klassischen Thema des Umweltschutzes verbunden: Warnungen vor zukünftigen Verlusten in dem Bemühen, jetzt präventive Maßnahmen zu ergreifen. (…) Trauern ermöglicht es den Menschen, sich weiterhin zu kümmern. (…) Das Erlernen von Trauertechniken und -praktiken bereitet die Menschen auch darauf vor, noch schwerwiegendere ökologische Verluste zu bewältigen, die vorausgesagt werden.“
Klimatrauer – womöglich für Soziologen, Psychologen und Therapeuten eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahrzehnte.
Freitag, 16. Februar: Tausende E-Mails
Ministerium für Selbstbedienung (€)
Der Spiegel über die Entlassung des BMDV-Abteilungsleiters Klaus Bonhof nach Mauscheleien in Sachen Wasserstoff. Eine interne Untersuchung des Ministeriums hatte vergangenen Sommer noch keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten gesehen – weil man offenbar nicht alle Informationen erhalten hatte. Zitat:
„Tatsächlich aber kannten weder Wissing noch sein Staatssekretär noch die vier internen Kontrolleure die besagten E-Mails. Das Wasserstoffreferat hatte Tausende E-Mails und rund 14 Gigabyte Datenmaterial trotz Nachfrage für die interne Untersuchung nicht zur Verfügung gestellt.“
Es ist schon erstaunlich, und dabei muss man nicht einmal mit der Korrektheit argumentieren, die Behörden an den Tag legen, wenn es um Dokumente von Bürgerinnen und Bürgern geht. Wenn eine Abteilung einer Untersuchung einfach so im großen Stil Dokumente vorenthalten kann und das nicht nur folgenlos bleibt, sondern die Angelegenheit ohne die Informationsfreiheitsanfrage des Spiegels sogar zu einer erfolgreichen Vertuschung von Fehlverhalten geführt hätte, dann ist etwas grundsätzlich faul in diesem Ministerium (womöglich auch in der Ministerialbürokratie grundsätzlich).
Sonntag, 18. Februar: I am Damo Suzuki
Damo Suzuki (1950-2024)
Speak it, says Damo's spirit
I am Damo Suzuki
Bis zum nächsten Mal!
Johannes