Israel und Iran
Das für mich Erhellendste zum verschärften Konflikt zwischen Iran und Israel in dieser Woche, stammt von Joshua Landis, Leiter des Center for Middle East Studies an der University of Oklahoma. Seine Aussagen im Nonzero-Podcast sind in ihrer Gesamtheit noch etwas komplexer, aber hier meine Notizen dazu:
Der Druck auf das iranische Regime war nicht nur innenpolitisch groß, sondern auch von ihren Verbündeten, die immer wieder durch israelische Schläge gegen iranische Strukturen getroffen werden.
Iran hätte nach eigener Aussage nicht zurückgeschlagen, hätte der UN-Sicherheitsrat den Angriff verurteilt (die USA, Großbritannien und Frankreich legten ihr Veto ein). Irans Attacke hätte kleiner ausfallen können, aber die Saudis wurden 48 Stunden vorher gewarnt.
Die fast vollständige Abwehr des Angriffs zeigt, dass die amerikanische und die israelische Militärmacht in der Region weiterhin sehr groß ist. Das ist auch eine Demonstration an die arabische Welt.
Weshalb das wichtig ist: Der Eindruck in der arabischen Welt nach dem 7. Oktober, dass Israel schwach ist. Dass irgendwann eine arabische Nation Israel besiegen wird und die israelischen Juden mit ihren Zweit-Pässen nach Europa fliehen.
Israels Strategie, den Preis für Iran und seine Verbündeten hochzutreiben, funktioniert. Die Golfstaaten müssen erkennen, dass es eine gute Idee ist, sich an den Abraham-Verträgen zu orientieren. Zugleich sind der Westen und vor allem die USA wieder hinter Israel versammelt, ohne die Regierung wirklich beeinflussen zu können. Weit weniger Aufmerksamkeit gibt es dagegen für die Situation im Gaza-Streifen, auch die Proteste dürften weniger werden.
Eine Haltung im israelischen Militär gegenüber Iran war: Es ist besser, einen verarmten Iran zu haben, der Uran anreichert, als einen Iran, der wieder Öl exportieren (eine Million Barrel pro Tag heute, einst 5-6 Millionen). Die Verschärfung der Sanktionen sorgt dafür, dass Iran arm bleibt und nicht konventionell hochrüsten kann.
Die wahrscheinlichste israelische Strategie in den kommenden Wochen: Kleine Nadelstiche setzen, Irans Verteidigung austesten. Und im Falle einer Eskalation auf die Unterstützung der USA erhalten.
Die USA haben einmal mehr demonstriert, dass die Zukunft der Region – anders als von vielen dort angenommen – absehbar nicht bei China liegt. Sondern dass, wenn es um militärische Beziehungen geht, Saudi-Arabien, die Emirate etc. Washington brauchen. Das Tragische daran ist, dass militärische Macht inzwischen die Hauptwährung ist und Waffenverkäufe als Trumpfkarte fungieren. Und der Einfluss der USA auf diese Länder hängt vor allem an deren Abhängigkeit von Waffenimporten.
Ukraine-Krieg
In Foreign Affairs rekonstruieren die renommierten Politologen Samuel Charap und Sergej Radschenko die indirekten und direkten Gespräche zwischen der Ukraine und Russland zwischen Kriegsausbruch und Mai 2022. Dass es Bemühungen für eine Verhandlungslösung gegeben hatte, ist bekannt – durch zahlreiche Gespräche mit Beteiligten sowie Dokumenten von damals wird aber nun klarer, um was es ging und wie es lief.
Zum Beispiel ist zu lesen, dass den ukrainischen Plänen von Sicherheitsgarantien für eine Friedenslösung zufolge auch Russland als Garantiegeber vorgesehen war – nämlich durch eine Anerkennnung Moskaus, dass die anderen Garantiemächte im Falle eines erneuten Angriffs auf die Ukraine eingreifen müssen. Und zwar konkret über die Schaffung einer Flugverbotszone, Waffenlieferungen oder einer direkten Militärintervention. Garantiemächte wären die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (inklusive Russland) sowie Kanada, Deutschland, Israel, Italien, Polen und die Türkei gewesen. In späteren Versionen fiel dieser Automatismus weg, zudem versuchte Russland, ein Veto-Recht einzufügen. Dass die Ukraine Washington offenbar nicht in die Garantiemacht-Gedankenspiele eingebunden hatte, könnte ein Grund für das Scheitern der Verhandlungen gewesen sei.
Für den Status der Ukraine sah der Entwurf vor, ein permanent neutraler und nicht-nuklearer Staat zu bleiben – wobei der Beitritt zur EU explizit nicht nur möglich, sondern von Moskau im Abkommen akzeptiert worden wäre. Der Disput über die Krim sei innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre beizulegen, so das Istanbuler Communiqué, das die Autoren in mehreren Entwürfen gesehen haben.
Unklar ist, was es mit der Forderung Russlands auf sich hatte, die Ukraine müsse „Faschismus, Nazismus und aggressiven Nationalismus“ verbieten und sechs Gesetze zurücknehmen, die mit der Rolle von ukrainischen Nationalisten im zweiten Weltkrieg zu tun haben. War das der Versuch, in das historische Gedächtnis der Ukraine einzugreifen? Oder der Versuch, Putin gesichtswahrend aus dem Konflikt hervorgehen zu lassen, den er ja mit der „Denazifizierung der Ukraine“ begründet hatte.
Wie dem auch sei: Das Ganze scheiterte. Und zwar nicht an Boris Johnson, wie gerne kolportiert wird. Sondern weil keiner der Akteure, inklusive des Westens, die diplomatische Lösung zielstrebig verfolgten oder priorisierten. Das Massaker von Butscha dürfte eine Verhandlungslösung damals endgültig verunmöglicht haben, auch wenn später noch weiter am Communiqué gearbeitet wurde. Letztlich, kritisieren die Autoren, war es vielleicht keine gute Idee, gleich die große Lösung anzustreben statt zunächst Bedingungen für eine Waffenruhe auszuhandeln.
Ebenfalls in Foreign Affairs: Stephen Kotkin mit fünf Zukunftsperspektiven für Russland. Diese wären (Zusammenfassung via The Browser):
(1) Russland könnte sich zu einem Frankreich des 21. Jahrhunderts entwickeln; ein Land, das bisweilen immer noch in absolutistischer und revolutionärer Folklore schwelgt, aber im Kern eine stabile Demokratie darstellt.
(2) Ein weiterer Rückzug in den Putinismus, auch unter Putins Nachfolger.
(3) Eine völlig Abhängigkeit gegenüber China und die Degradierung zu einem Vasallenstaat.
(4) Russland als Nordkorea im XXL-Format. International weitestgehend isoliert, aber durch seine Atomwaffen auch gefährlich.
(5) Abgleiten ins absolute Chaos.
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes