Kamala Harris hat Rückenwind, 79 Prozent der Demokraten sprechen sich für die Nominierung aus, die der Parteiapparat nun gerade durchpeitscht.
Alles gut also? Nein. Denn einmal mehr setzt sich die Funktionärselite mit einer risikobehafteten Kandidatin durch. Einer Kandidatin, die das Produkt der kalifornischen Parteimaschine ist und bislang eher Projektionsfläche war. Eine Kandidatin, die sich und ihre Positionen in keiner Vorwahl erklären und mit ihnen überzeugen musste. Eine Kandidatin, die als Vize-Präsidentin bislang nicht besonders beliebt war.
Eine Kandidatin, die auch nicht unbedingt dafür bekannt ist, besonders feste Überzeugungen zu haben: Als Staatsanwältin in San Francisco fuhr sie den damals üblichen harten Kurs, vor den Primaries 2019 schwenkte sie auf sehr linke Positionen, weil dies damals dem Partei-Zeitgeist zu entsprechen schien. Letzteres könnte ihr jetzt auf die Füße fallen.
Natürlich lässt sich auch so argumentieren: Die Republikaner erleben seit 2016 die Folgen, wenn die Basis die Choreographie des Partei-Establishments nicht nur ablehnt, sondern eine völlige Änderung der Struktur in Richtung Personenkult bewirkt.
Doch die Gefahr wäre bei den Demokraten gering gewesen. Im Gegenteil: Einmal mehr sind es die Mechanismen der demokratischen Partei und damit auch deren innere Logiken, die das Wohl und Wehe des Landes maßgeblich beeinflussen.
Ein - schwieriger, aber durchaus umsetzbarer - Auswahlprozess bis zur zweiten Augustwoche wäre nicht nur ein Zeichen innerparteilicher Demokratie und Stärke gewesen: Er hätte auch eine Kandidatin Harris legitimiert und dem neuen Spitzenpersonal der Partei die Aufmerksamkeit des ganzen Landes beschert.
Kann Kamala Harris die Wahl gewinnen? Ja, auch wenn ich weiterhin skeptisch bin. Vielleicht genügen Momentum, Marketing und die Tatsache, gegen einen narzisstischen Möchtengern-Autokraten anzutreten, um die entscheidenden Wechselwähler zu mobilisieren. Und vielleicht zeigt sich im Wahlkampf wirklich, dass Harris' Substanz und Potenzial unterschätzt wurde.
Und doch ist es geradezu fahrlässig, wie das demokratische Partei-Establishment nach 2016 und 2023 (als sich Biden trotz bekannter Bedenken einen Freifahrtschein für die Wieder-Kandidatur gab) erneut beim wichtigsten Job des Landes ins Risiko geht und die Kandidatur zu einer Hinterzimmer-Angelegenheit macht.
Dieser Beitrag erschien zunächst in meinem Blog. Weitere Beiträge aus den vergangenen Wochen:
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Ein gutes Wochenende - und bis demnächst mal wieder!
Johannes